Klimaschutz ist Menschenschutz. Warum wir über die Klimakrise anders sprechen müssen.
Das vorliegende Werk „Klimaschutz ist Menschenschutz“ ist ein Handbuch für Kommunikation über das Thema Klimawandel, geschrieben vom Kommunikationsexperten Michael Adler. Es ist 2022 erstmalig im Oekom-Verlag erschienen. Anders als andere Werke legt es eine Lösungsorientierung zugrunde und zeichnet „desirable futures“ – also wünschenswerte oder erwünschte Zukunftsszenarien, welche die Menschen zu einem klimaschonenden und nachhaltigen Handeln ermutigen sollen. Dies wird gepaart mit konkreten Handlungsoptionen und -aufforderungen für die Bildungspraxis. Konkret ergeben sich daraus zahlreiche Einsatzfelder, die von der politischen Lobbyarbeit über die Zusammenarbeit mit Stakeholdern hin zu schulischen und erzieherischen Kontexten. Insbesondere der letztgenannte Bereich soll im Weiteren betrachtet werden. Für Lehrkräfte, pädagogische Mitarbeitende und anderes durchführendes sowie planendes Personal in Bildungseinrichtungen bietet das Handbuch großes Potenzial, da nicht nur Schrittfolgen für die didaktisch-methodische Implementierung, sondern auch explizite Beispiele gegeben werden, die in den Interventionen genutzt werden können. Aus der Perspektive der Landwirtschaft sind vor allem die Bezüge zu den Konzepten der „Essbaren Stadt“, „SaveOurSoils“ oder „Planetary Health Diet“ spannend, die zusätzlich durch wissenschaftliche Theorien und Konstrukte wie die Kreislaufwirtschaft oder der Donut-Economy fundiert und ausführlich erläutert werden (z.B. S. 113 ff).
Einsatz in Bildungssettings
Die Auseinandersetzung mit den Inhalten des Werkes kann sowohl auf einer individuellen Ebene als auch in der Vorbereitung auf und konkret in Lehr-Lern-Einheiten genutzt werden.
Wenn Lehrende und pädagogische Mitarbeitende in Bildungskontexten sich im Selbststudium mit den Inhalten des Handbuches auseinandersetzen, können sie vielfältige Ideen für die inhaltliche und didaktisch-methodische Gestaltung von nachhaltigen und transformativen Lehr-Lern-Angeboten generieren. So gibt das Modell der Planetaren Belastungsgrenzen, welches bereits jetzt in vielen Curricula der gymnasialen Oberstufe zu finden ist, oder das Modell der transformativen Wenden nach Scheidewind einen guten Bezug zu bestehenden inhaltlichen Vorgaben. Kontroverse Lerninhalte, wie nicht-nachhaltige Entwicklungspfade der Landwirtschaft oder die Folgen einer globalisierten Agrarwirtschaft lassen sich damit aufbereiten. Didaktisch-methodisch bietet das transtheoretische Modell – von der Absichtslosigkeit hin zur neuen Routine einen guten Rahmen für die Konzeption der Bildungsangebote. So könnten beispielsweise absichtslose alltägliche Situationen, wie der unreflektierte Konsum von Fleisch, thematisiert werden. Davon ausgehend und entlang dieses Modells ließe sich nach der Erzeugung eines Dilemmatas eine bewusste didaktische Intervention in Form eines Lebensmitteltagebuches und einer daraus abgeleiteten Handlung sowie dessen Aufrechterhaltung gemeinsam im Unterricht erarbeiten (vgl. Blum et al. 2021).
Für den Einsatz in Lehr-Lern-Settings empfiehlt sich die Implementierung der Beispiele (z.B. S. 92 ff.) im Rahmen eines lösungsorientierten Unterrichts (Hoffmann 2021). Dabei werden im Gegensatz zur vorherrschenden Herangehensweise (Problemorientierung) kein unüberwindbares Problem an den Anfang des Unterrichts gestellt, was bei Jugendlichen zu Zukunftsängsten oder gar einer resignierenden Haltung führen kann, sondern echte, im Alltag funktionierende Lösungen, sogenannte „Geschichten des Wandels“, wozu die Beispiele aus der Praxis ab Seite 92 fungieren könnten (vgl. Hoffmann 2021).
Aufbau und Analyse der Kapitel
Das Werk verfügt über 199 Seiten und kommt im Taschenbuchformat mit Softcovereinband daher. Es beginnt mit der Titelseite und dem Impressum, worauf eine Widmung und das Inhaltverzeichnis folgen. Die insgesamt acht Kapitel bauen inhaltlich aufeinander auf, wobei eine Rahmung durch das Vor- und Nachwort gegeben wird. Kapitel eins „Warum?“ fokussiert auf die große Rolle der Kommunikation über den Klimawandel (hier: Klimakatastrophe). Dabei wird die Bedeutung der lösungsorientierten Kommunikation im Synonym „desirable futures“ besonders hervorgehoben. Im folgenden zweiten Kapitel liegt der Fokus auf der Fragestellung „Was? Worum geht es?“ auf der Darstellung der aktuellen Situation in der Klimakrise, ausgehend von der Hervorhebung, dass diese bereits da ist. Auch die Größe der Aufgabe und die Vielfalt der Szenarien zu ihrer Bewältigung werden aufgezeigt. Kapitel drei, dass den Titel trägt „Wie kommunizieren wir bisher?“ legt den Fokus auf die Fallen und Probleme bei der Klimakommunikation, dabei werden fünf Kernpunkte herausgearbeitet, die sich auf eine zu komplexe Fachsprache, auf eine Vielzahl an (widersprüchlichen) Informationen, die Skizzierung von apokalyptischen Szenarien, die Schaffung von alternativen Fakten und das Wägen in Sicherheit durch Verharmlosung konzentrieren. Kapitel vier „Wer?“ arbeitet die Rolle von Personen, Handlungen und Vorbildern hervor, die das Verhalten beeinflussen. In diesem Kontext kommen auch Konstrukte und Theorien zur Sprache, die im Alltag und in Bildungssettings angewendet werden können. Das fünfte Kapitel „Wofür?“ wendet sich konkreten Zukunftsszenarien „desirable futures“ zu und offeriert Beispiele, die überwiegend aus Deutschland oder dem benachbarten europäischen Ausland stammen. Im sechsten Kapitel, dass mit „Und was jetzt?“ überschrieben ist, wir die Notwendigkeit für die nachhaltige Klima-Kommunikation in bestimmten Kontexten wie Landwirtschaft, Heizung/Wärme oder Mobilität begründet. Im Rahmen des siebten Kapitels „Wie können wir es besser machen?“ werden konkrete Regeln für die nachhaltige Kommunikation formuliert und in sogenannten Prinzipien guter Reden zusammengefasst, wobei neben der Zielgruppe, die angesprochen werden soll, die Aspekte Relevanz, Werte und Verständlichkeit eine bedeutende Rolle spielen. Das letzte Kapitel wendet sich der Frage „Wie geht es weiter?“ zu. Hier werden 10 Regeln für eine nachhaltige Kommunikation zusammengeführt, welche auch zentrale Eigenschaften der Menschen wie die Suche nach Glück, das soziale Zusammenleben und die Positivität in den Blick nehmen. Das Buch schließt mit einem Nachwort sowie einer Danksagung und einem Quellenverzeichnis. Es folgen noch einige Werbeanzeigen des Oekom-Verlages.
Aus der Perspektive der Landwirtschaft sind besonders die Kapitel drei bis sechs spannend, da hier direkt auf die Branche Bezug genommen wird.
Reflexion
Bereits nach der Analyse der Kapitel kann festgehalten werden, dass das Handbuch konsistent und kohärent aufgebaut ist. Es verfolgt gezielt eine Fragestellung, die während des ganzen Werkes im Blick behalten und auch abschließend beantwortet wird. Es ist ansprechend und verständlich geschrieben, was durch die Arbeit mit konkreten Beispielen aus dem Alltag noch weiter unterstützt wird.
Das dritte Kapitel, indem über die bisherige Klimakommunikation reflektiert wird, greift auch das Thema „industrielle Landwirtschaft“ auf. Darin wird die Förderung dieser Produktionsform mit nationalen und europäischen Subventionen mit dem Ziel der Ernährungssicherheit sachlich beschrieben und kritisiert, dass ökologische und nachhaltigere Bewirtschaftungsformen wie beispielsweise die Permakultur nicht stärker unterstützt werden. Der Fokus liegt dabei stark auf der politischen Ebene und kritisiert die Entscheidungsträger:innen und die entsprechenden Institutionen. An die Landwirt:innen werden keine direkten Beanstandungen herangetragen, jedoch auch nicht deutlicher herausgestellt, dass diese sich nur schwer den staatlichen Forderungen und Regelungen, dem vorhandenen „System“, entziehen können und daher anpassen, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Zudem bleiben Wirtschaftsmechanismen, darunter beispielsweise die Effekte der Globalisierung, denen sich die Branche gegenübersieht und die die Wettbewerbssituation und den Lebensmittelkonsum der Bevölkerung beeinflussen, unberücksichtigt. Diese sind jedoch zu einem großen Teil für die Klimaschädlichkeit der Landwirtschaft verantwortlich (z.B. Rindfleisch und Avocados aus Südamerika).
Das fünfte und sechste Kapitel stellen Szenarien zusammen, wie eine mögliche klimaschonende und nachhaltige Landwirtschaft der Zukunft aussehen kann. Romantisierend wird dargestellt, wie die Landwirtschaft in den 1950er Jahren ausgesehen hat und wie regenerativ und nachhaltig sich der Umgang mit der Natur damals gestaltete. Zur Übertragung auf heutige Lebensbedingungen eignet sich dieses Modell nur teilweise. Lebten die Menschen damals noch von der Subsistenzwirtschaft und hatten nur fünf bis zehn Personen zu versorgen, ernährt die Landwirtschaft heute in einer hoch spezialisierten, industrialisierten Wirtschaftswelt rund 140 Menschen (Strukturwandel) und ist eingebunden in globale Wertschöpfungsketten. Ein (Rück-)Schritt zu diesem Modell ist zwar möglich, würde aber ohne eine entsprechende finanzielle Wertschätzung der Bevölkerung, die zwangsläufig mit einer eminenten Steigerung der Lebensmittelkosten einher gehen würde, nicht möglich sein. Ein größeres Verständnis für regionale und saisonale sowie für nicht perfekt aussehende Produkte (z.B. krumme Gurke, Äpfel mit kleinen Makeln) müsste ebenfalls stärker vorhanden sein. Die Arbeit in Erzeugergemeinschaften in Form von SoLaWi kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, muss aber auch für finanziell schwächer gestellte Bevölkerungsschichten zugänglich bleiben. Adaptions- und Mitigationsstrategien gegen den Klimawandel sind nur dann umsetzbar, wenn sie von einer breiten Bevölkerung getragen werden (vgl. Otto et al. 2020).
Resümierend lässt sich sagen, dass sich das Handbuch sehr gut in Lehr-Lern-Settings einbetten lässt. Vor allem für handlungsorientierte und transformative Formate, die auf das Hinterfragen und das Verändern des eigenen Handelns abzielen (im Sinne des eigenen Konsums und der systemischen Handlungsoptionen im Rahmen eines persönlichen Engagements), eignen sich die methodischen und inhaltlichen Anregungen gut, z.B. Projektlernen, Erklärvideos erstellen, eine Diskussion führen. Die inhaltlichen Ausführungen zur Landwirtschaft lassen sich als Beispiele in den Unterricht integrieren, kritisch diskutieren und mehrperspektivisch analysieren. Sie können ferner zum Anlass genommen werden, nach der inhaltlichen Auseinandersetzung eine Diskussionsrunde mit Entscheidungsträger:innen, lokalen Supermärkten und Landwirt:innen zu initiieren oder andere Arten von Zusammenkünften zu organisieren, bei denen sie ihr eigenes Handeln/ihren Konsum hinterfragen und nachhaltig verändern können. Auch für eine interessierte Öffentlichkeit ist das Werk sehr empfehlenswert.
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